Flüge über Nord- und Südpol—gibt es die überhaupt? Solange der kürzeste Weg von Punkt A nach Punkt B über Arktis oder Antarktis führt, sollten die Flüge doch im Interesse der Airlines liegen? Doch spielt die kürzeste Strecke nicht immer die entscheidende Rolle…
Ob Fluglinien über den Nord- oder Südpol führen, entscheiden verschiedene Faktoren. Insgesamt wird immer versucht, die kürzeste Strecke zu fliegen. Daher reichen viele Flüge von Amerika nach Asien über den Polarkreis. Doch auch politische Motive und Wetterlagen (Jetstreams) spielen eine entscheidende Rolle.
Während viele Passagierflüge den nördlichen Polarkreis überqueren, gibt es nur wenige Flüge über den südlichen Polarkreis.
Hauptgrund hierfür ist die Lage der Kontinente.
Das wird vor allem dann sichtbar, wenn man sich Nord- und Südpol auf einem Globus anschaut:
Auf der Nordhalbkugel liegt der Großteil aller Kontinente und 90 % der Weltbevölkerung. Hier ist gut sichtbar, dass Flüge von Amerika nach Asien direkt über den Polarkreis eine effektive Route darstellen.
Anders sieht das bei der Südhalbkugel aus. Neben Australien, Teilen von Südamerika und Afrika sowie der Antarktis ist die Südhalbkugel mit über 80 % Wasser bedeckt. Dazu leben in der Antarktis fast keine Menschen, auch wenn die Landmasse fast doppelt so groß wie Australien ist.
Daher sind die einzigen sinnvollen Flüge am Südpolarkreis die zwischen Südamerika, Südafrika, Australien und Neuseeland. Wobei hier eine deutlich größere unbewohnte Fläche (Wasser + Antarktis) zu überqueren ist, als am Nordpolarkreis.
Flüge, die über den Nord- und Südpol fliegen
Flüge, die exakt über die Pole fliegen, wird es wohl nur sehr selten geben. Immerhin handelt es sich hier um zwei einzelne Punkte.
Doch gibt es genügend Flüge, die den Polen recht nah kommen.
Ob und wie nah ein Flug den Polen kommt, entscheiden mehrere Faktoren. Darunter sind die wichtigsten:
Um die verschiedenen Faktoren im Folgenden näher betrachten zu können, schauen wir uns Flüge an, die den Polen relativ nah kommen:
Nordpol
Flug | Start – Ziel | Strecke |
SQ21 | New York – Singapur (EWR – SIN) | 15.761 km (22.05.19) |
AC44 | Vancouver – New Delhi (YVR – DEL) | 14.626 km (22.05.19) |
PR119 | Toronto – Malina (YYZ – MNL) | 14.370 km (20.05.19) |
EY170 | Los Angeles – Abu Dabhi (LAX – AUH) | 13.950 km (21.05.19) |
CX841 | New York – Hong Kong (JFK – HKG) | 13.705 km (21.05.19) |
Südpol
QF63 | Sydney – Johannesburg (SYD – JNB) | 11.521 km (21.05.19) |
LA804 | Melbourne – Santiago (MEL – SCL) | 11.459 km (21.05.19) |
Polarflüge sind auf den meisten Flug-Trackern nur schwer zu verfolgen. Zum einen ist die Radarabdeckung über den Polen gering und es werden daher große Teile der Strecke interpoliert. Zum anderen Stellen sämtliche Flug-Tracker die Weltkarte zweidimensional dar. Das Ergebnis sieht dann in etwa so aus:
Desto näher ein Flugzeug den Polen kommt, desto größer ist die Verzerrung, bzw. der vermeintliche Bogen, den das Flugzeug macht. Im Falle des Fluges SQ21 verschwindet das Flugzeug sogar ganz aus dem Bild.
1. Die Wahl der kürzesten Strecke
Der wohl wichtigste Punkt bei der Auswahl einer Flugroute ist die Antwort auf die Frage: Welche Strecke ist die kürzeste?
Bei großen Distanzen wie bei Langstreckenflügen lässt sich das durch die Wölbung der Erde nur auf einem Globus sinnvoll darstellen. Tut man das nicht, erhält man Verzerrungen wie im oberen Bild (großer Bogen anstelle von einer „Geraden“).
Auf einem Globus ist die kürzeste Verbindung zwischen 2 Punkten die Luftlinie, bzw. der sogenannte Großkreis.
Bei unseren Beispielsflügen sehen die kürzesten Verbindungen wie folgt aus:
Jedoch entspricht die Luftlinie nur selten der exakt geflogenen Strecke. Zwar kommen viele Fluglinien nah an die Luftlinie heran—doch entscheiden andere Faktoren darüber, welche Strecke nun genau geflogen wird.
Dass die real geflogene Strecke von der Luftlinie abweicht, erkennt man bei einem Vergleich von Großkreis (Luftlinie) mit der tatsächlich geflogenen Strecke.
Kleinere Abweichungen von Luftlinie zur Realstrecke entstehen nötiger Weise durch Vorgaben wie Luftstraßen und Wegpunkte.
Große Abweichungen, wie z.B. beim Flug AC44 von Vancouver nach New Dehli (3466 km Umweg) entstehen häufig durch Wetterphänomene (Jetstreams, Vulkanausbruch) und politische Lagen (z.B. Sperrungen von Luftraum).
2. Luftstraßen und Wegpunkte
Airlines nutzen verschiedene Mittel, um Flüge zu navigieren. Dazu gehören vor allem Luftstraßen (airways) und Wegpunkte (waypoints).
Luftstraßen und Wegpunkte definieren, über welche Routen Flugzeuge fliegen können. Während Luftstraßen die Flugrouten über dem Land nahezu vollständig vorgeben, haben die Airlines über den Ozeanen mehr Spielraum. Hier gibt es zwar auch Luftstraßen—allerdings werden auch oft direkte Verbindungen zwischen Wegpunkten genutzt.
Luftstraßen sind nichts anderes als Straßen in der Luft. Diese findet man vor allem über dem Land. Somit startet und endet jeder Flug in fest definierten Luftstraßen—auch, wenn der größte Teil der Strecke über einen Ozean liegt.
Die Aufgabe von Luftstraßen ist es, den Verkehr zu Regeln und somit Kollisionen zu vermeiden. Daher müssen Flugzeuge den jeweiligen Luftstraßen folgen, auch, wenn diese dadurch einen Umweg in Kauf nehmen müssen.
Alle Luftstraßen selber sind durch sogenannte Wegpunkte verbunden. Wobei auch mehrere Wegpunkte auf einer Luftstraße liegen können.
Wegpunkte dienen in der Luftfahrt zur Orientierung. So verwenden Flugzeuge Wegpunkte, z.B. um Luftstraßen zu wechseln. Wenn keine passenden Luftstraßen eine Strecke vorgeben, kann auch von Wegpunkt zu Wegpunkt geflogen werden.
Flugzeuge, die die Polkreise durchqueren, nutzen Wegpunkte und Flugstraßen ähnlich wie bei Fluglinien über den Ozeanen.
Wie genau das funktioniert, findest Du hier anhand von Beispielen von transpazifischen Flügen.
Hierbei ist festzuhalten, dass Wegpunkte je nach Bedarf definiert werden. Da auf offenen bzw. unbewohnten Gebieten wie Ozeanen und Antarktis nur wenig Flugverkehr stattfindet, sind demnach auch weniger Wegpunkte vorhanden.
Hier lässt sich auch nochmal verdeutlichen, wie unbewohnt bzw. unbeflogen die Südhalbkugel im Vergleich zur Nordhalbkugel ist.
Auf den folgenden Karten siehst Du die Verteilung von über 115.000 Wegpunkten über Nord- und Südhalbkugel.
…nicht viel los am Südpol.
3. Wind und Wetter
Wind und Wetter spielen in der Luftfahrt eine entscheidende Rolle. Hier werden Gefahren wie starke Turbulenzen und Vereisung effektiv vermieden—oder Winde genutzt oder ausgewichen, um effizienter ans Ziel zu kommen.
Fliegt man mit dem richtigen Wind, kann man schonmal 400 km/h schneller unterwegs sein. So erreichte am 18. Februar 2019 eine Boeing 787 durch Rückenwind eines Jetstreams satte 1289 km/h anstelle der üblichen 900 km/h.
Um die Windverhältnisse für sich nutzen zu können, werten die Airlines rund um die Uhr Wetterdaten aus. Daraus entstehen dann alle paar Stunden aktualisierte Flugrouten, die einen effizienten Luftweg darstellen.
Den größten Einfluss auf die Luftfahrt haben die sogenannten Jetstreams. Das sind Windröhren in Reiseflughöhe mit den größten natürlich vorkommenden Windgeschwindigkeiten.
Da diese Winde insgesamt immer von Westen nach Osten herrschen, können Flüge von West nach Ost die Jetstreams nutzen, um schneller ans Ziel zu kommen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der oben genannte Flug SQ21 von New York nach Singapur. Für diesen gibt es natürlich auch einen Rückflug: den Flug SQ22 von Singapur nach New York.
Trotz der gut 800 km längeren Strecke kam der Rückflug, SQ22, ganze 20 Minuten schneller ans Ziel.
Um sich die Jetstreams zunutze machen zu können, durchquert Flug SQ22 nämlich erst gar nicht durch den Polarkreis: Er fliegt mit den Jetstreams drum herum.
Die verschiedenen Strecken sehen auf einem Globus wie folgt aus:
- gelb: Flug SQ21 von New York (oben rechts) nach Singapur
- grün: Flug SQ22 von Singapur (unten links) nach New York
- rot: die Luftlinie zwischen den beiden Flughäfen
Sieht man sich dieselben Flüge nun auf der Windkarte an, erkennt man den Hintergrund des Umwegs. Bedenke: Die Jetstreams (violett/weiß) wirken hier gegen den Uhrzeigersinn—von West nach Ost.
Es ist gut zu erkennen, dass Flug SQ22 einen Großteil der Stecke direkt in den Jetstreams verbringt. Die Geschwindigkeit in den violetten Bereichen lag an diesem Tag zwischen 200 und 250 km/h.
Den Rückflug, SQ21, blieb allerdings nichts anderes übrig, als direkt über den Polarkreis zu fliegen.
Die gleiche Flugplanung findet auch am Südpol statt. Nur dass hier keine effiziente Verbindung existiert, die direkt über die Eiskappe reicht.
Als Beispiel hierfür eignet sich besonders der Flug QF63 von Sydney nach Johannesburg. Der Rückflug ist Flug QF64, von Johannesburg nach Sydney.
Hierbei hat der Flug QF64 einen noch sichtbareren Vorteil, als unsere Beispiele der Nordhalbkugel. Das Flugzeug kommt ganze 2 Stunden und 21 Minuten schneller ans Ziel, als der Rückflug derselben Verbindung.
Die verschiedenen Strecken sehen auf einem Globus wie folgt aus:
- gelb: Flug QF63 von Sydney (unten rechts) nach Johannesburg
- grün: Flug QF64 von Johannesburg (oben links) nach Sydney
- rot: die Luftlinie zwischen den beiden Flughäfen
Mit einem Blick auf die Windverhältnisse wird schnell klar, weshalb einer bei beiden Flüge gut 200 € mehr kostet:
Flug QF64 kann sich fast den gesamten Flug einen Jetstream zunutze machen, während QF63 sogar einen Umweg fliegen muss, um diesen auszuweichen.
Die Jetstreams der südlichen Hemisphäre ähneln hierbei sehr denen der nördlichen Hemisphäre. Auch hier werden ähnliche Windgeschwindigkeiten erreicht mit einer Strömung im Uhrzeigersinn (West nach Ost).
Ein weiteres Beispiel zu der Auswirkung von Wind auf eine Flugroute findest Du im ähnlichen Artikel: Warum fliegen Flugzeuge so selten über den Pazifik?
4. Politische Interessen
Politische Interessen haben besonders für Nordpolarrouten immer schon eine große Rolle gespielt. Denn so wie Land- und Seegebiet einem bestimmten Staat gehören—gehört dem Staat auch der Luftraum darüber.
Das Nutzen viele Staaten dazu, Gebühren für die Nutzung ihres Luftraumes zu verlangen.
In Europa setzen sich die Kosten für die Luftraumnutzung aus Faktoren der zurückgelegten Distanz und dem Gewicht des Flugzeuges zusammen. Ein Airbus A320 (77 Tonnen) zahlt für einen Flug von Barcelona nach Kopenhagen ca. 1.572 € Luftraumgebühren.
Marco Hermandez, scmp.com
Vor allem können hier große Staaten ihren Luftraum strategisch einsetzen—als stabile Einnahmequelle oder als Druckmittel in politischen Verhandlungen.
Z.B. nutzt Russland diese Machtposition zu seinen Gunsten. Alle Flüge von Nordamerika nach Asien und umgekehrt reichen durch Russland. Das Gleiche gilt für einen Großteil der eurasischen Flüge.
Auf der Karte sieht man, dass Russland fast die Hälfte des Polarkreises umgibt. Das hatte bis 1990 zu Folge, dass nur wenige Flugzeuge den Polarkreis überflogen. Flüge mussten einen großen Umweg über Alaska in Kauf nehmen—Direktflüge von Nordamerika nach Südasien waren nicht möglich.
Aber auch heute noch schränken Staaten die Überflugrechte ein.
- Russland genehmigt generell nur einer Airline pro Staat Überflugrechte. Bis heute gibt es somit noch keine Billigairline, die Langstreckenflüge über Russland anbietet.
- Spannungen zwischen China und Taiwan sorgen immer wieder dafür, dass Flüge von konkurrierenden Airlines im eigenen Land nicht genehmigt werden.
- Konflikte im Mittleren Osten sorgen regelmäßig für Luftraumsperrungen.
Eine Luftraumsperrung ist auch der Grund, weshalb der obengenannte Flug AC44 von Vancouver nach New Delhi einen verhältnismäßig großen Umweg fliegen musste (3466 km).
Auseinandersetzung zwischen Pakistan und Indien führen nämlich seit dem 27.02.19 dazu, dass Pakistan seinen Luftraum für die Zivilluftfahrt sperrt.
Hinweis: Für Flug AC44 ist es kürzer, direkt vertikal hochzufliegen, anstatt unten um Pakistan herum. Allerdings liegt dort das Himalaya Gebirge—welches zu hoch für einen sichern Überflug ist (Reiseflughöhe ca. 10.000 m / Himalaya bis zu 8848 m).
Fazit
Gibt es ausreichend Nachfrage für eine Flugverbindung, wird diese in der Regel auch beflogen—egal wo auf der Welt.
Demnach gibt es zahlreiche Passagierflüge im Nordpolarkreis—aber nur wenige nah dem Südpol.
Das spiegelt auch die Verteilung der Weltbevölkerung wider, die sich zu 90 % in der nördlichen Hemisphäre befindet.
Ob ein Flug letztendlich für eine Airline wirtschaftlich sinnvoll ist, entscheiden neben der Nachfrage auch Faktoren wie Distanz, etablierte Flugrouten, Wetter und die Richtlinien der durchflogenen Länder.
Falls Du Dir die benutzten Tools etwas näher anschauen willst (oder auch den Rest der Welt anstelle von Nord- und Südrouten), sind hier nochmal alle aufgelistet:
- Flug-Tracking und -daten: flightaware.com und flightradar24.com
- Zeichnen von Großkreisen: greatcirclemap.com
- Google Earth (Desktop): google.com
- Download von Wegpunkten: navaid.com
- Globale Windkarte: nullschool.net
Falls Du Dir noch weitere Beispiele ansehen willst, schau doch bei meinem Artikel über pazifische Flugrouten vorbei.
Bist Du schonmal mit einem Flugzeug durch den Nord- oder Südpolarkreis geflogen? Was war Dein längster Flug?